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#SupportAuditiv Prof. MAXIMILIAN MARCOLL

Vor mittlerweile fast zehn Jahren begann meine Zusammenarbeit mit AuditivVokal Dresden. Seither ist mir kaum ein anderes Ensemble begegnet, das mit einer derart präzisen, kenntnisreichen und zugleich risikobereiten Haltung arbeitet. Hier wird nicht nur aussergewöhnlich gut gesungen; hier wird gedacht, geforscht, recherchiert, experimentiert – und aus dieser Praxis entsteht eine spezifische, hochdifferenzierte Klangkultur, die sich nicht kurzfristig herstellen oder bei Bedarf neu aufstellen lässt.

Ensembles wie AuditivVokal sind keine beliebig disponiblen Projektapparate, die sich je nach Haushaltslage an- und abschalten lassen. Sie sind über lange Zeit gewachsene künstlerische Organismen: Gefüge aus Erfahrung, tiefem Studium, stimmlicher Forschung, Repertoirebildung, institutionellen Netzen und einem Vertrauen, das sich nur in längeren Zeiträumen aufbauen lässt. Genau diese Verdichtung macht AuditivVokal zu einem der ganz wenigen Ensembles dieser Art in Deutschland und Europa.

Kürzungen im Kulturbereich greifen leider viel zu oft dort an, wo das Langfristige verankert ist: in Bildung und Vermittlung, im kulturellen Gedächtnis, in jenen Räumen, in denen eine Gesellschaft sich ästhetisch und intellektuell mit sich selbst auseinandersetzt. Besonders gravierend wird es, wenn Strukturen infrage stehen, die in ihrem Feld eine derartige Konzentration von Wissen, Praxis und künstlerischer Imagination entwickelt haben wie AuditivVokal. Was hier zu verschwinden droht, ließe sich nicht einfach zu einem späteren Zeitpunkt wiederherstellen; es ginge um verlorene Jahre, verlorene Erfahrung, verlorene Kontinuität zwischen Komponist:innen, Sänger:innen, Institutionen und Publikum.

Aus meiner Perspektive als Komponist ist AuditivVokal ein Referenzensemble: ein Ort, an dem auf einem aussergewöhnlich hohen Niveau gearbeitet wird und wo Diskurs und künstlerisches Risiko nicht als Zusatz, sondern als selbstverständlicher Teil der Arbeit verstanden werden. Solche Orte sind selten. Gerade unter Bedingungen notwendiger Sparsamkeit sind sie die denkbar falsche Adresse für strukturelle Einschnitte.

Wer heute die Finanzierung dieser Arbeit zur Disposition stellt, entscheidet daher nicht nur über eine kommende Saison oder über einzelne Projekte, sondern über die grundsätzliche Frage, ob wir uns als Gesellschaft nicht weiterhin wenigstens einige wenige herausragende Ensembles leisten wollen, die mehr tun, als das kulturelle Grundrauschen zu verwalten – Ensembles, die neue Hörerfahrungen ermöglichen, Debatten anstoßen und ästhetische und gesellschaftliche Fragen miteinander verschränken.

Ich wünsche mir, dass die Entscheidungen in Dresden und im zuständigen politischen Umfeld in dem Bewusstsein getroffen werden, dass es hier nicht um einen entbehrlichen lokalen Luxus geht, sondern um ein weitreichendes Stück kultureller Infrastruktur im eigentlichen Sinn: um die Bedingungen dafür, dass eine lebendige, reflektierte Musikkultur der Gegenwart überhaupt stattfinden kann. AuditivVokal Dresden zu schwächen hieße, einen jener wenigen Orte zu riskieren, an denen sich diese Bedingungen exemplarisch zeigen.

Prof. Maximilian Marcoll

Professor für elektroakustische Komposition und Klangkunst

Leiter Studio für elektroakustische Musik (SeaM)

Leiter des Instituts für Neue Musik und Jazz

Hochschule für Musik Franz Liszt, Weimar

Bauhaus Universität Weimar