Back to all Articles#SupportAuditiv C. RENÉ HIRSCHFELD
Es gibt eine Vielzahl von Gründen, warum weitere Einsparungen im Bereich Kunst und Kultur allgemein und bei der Förderung von AuditivVokal Dresden nicht nur falsch, sondern schädlich für unser Land sind. Als Komponist, der bereits mehrfach die Freude hatte, mit AuditivVokal zusammenarbeiten zu dürfen, stehe ich selbstverständlich in meiner Argumentation im berechtigten Verdacht nicht neutral zu sein, wenn es um Kürzungen für dieses herausragende Ensemble geht. Daher möchte ich mich hier auf zwei Gründe stützen, die mit der Zusammenarbeit zwischen mir und AuditivVokal nichts zu tun haben.
Erstens: Es ist hinlänglich bekannt, dass Populismus, menschenverachtende Ideologien und undemokratische Machtstrukturen ein leichtes Spiel haben, wenn Menschen nicht genügend reflektieren, wenn sie die Manipulationen nicht durchschauen. Kunst und Kultur auf hohem und höchstem Niveau sind eben genau deshalb unverzichtbar, weil es die Menschen sensibilisiert, zumHinterfragen anregt, ästhetisch und ethisch bildet.
Reine Unterhaltung hat auch ihre Berechtigung, aber sie kann diese Funktion nicht erfüllen. Sie ist dazu geschaffen, "den Kopf frei zu bekommen" vom Alltag, sich bedienen zu lassen und zu genießen. Anders die Klassische Musik in ihrem ursprünglichen Sinn, Zeitgenössische Musik, Moderne Kunst, Modernes Theater, - eben jene Hochkultur, auf deren Basis die Europäische Geschichte seit dem Mittelalter immer wieder zuHöhepunkten geistiger Reife sich aufschwingen konnte. Nur durch Bildung wirdder Mensch mündig und ist in der Lage, politische Strömungen, die (nicht nur) unserem Land schaden, zu durchschauen und sich ihnen zu widersetzen. Und Bildung meint hier eben nicht nur die MINT-Fächer. Seit den großen antikenHochkulturen in Griechenland, Indien und China wissen wir, dass die ästhetische Bildung für die Charakterbildung unverzichtbar ist.
AuditivVokal leistet hierseit vielen Jahren einen herausragenden Beitrag. Künstlerisch höchstes Niveauist bei diesem Ensemble und seinem Leiter, Prof. Olaf Katzer, gepaart mit denkbar schärfstem Bewusstsein für gesellschaftliche Notwendigkeiten. Einsolcher international strahlender Leuchtturm sollte, wenn man es ernst meintmit einer demokratischen Gesellschaft und mündigen Bürgern, ausgezeichnet und gefördert und nicht in seinen Möglichkeiten durch vermeintliche Sparzwängebeschränkt und für sein Engagement bestraft werden! Damit bin ich beim zweiten Punkt: Seit Jahren erleben wir eine wachsende Ausbeutung der freien Kunstschaffenden unserer Republik. Dies ist möglich, weil eben jene Künstlerund Künstlerinnen, zu denen AuditivVokal ebenso gehört wie ich selbst und vielemeiner geschätzten Kollegen, ein hohes Ethos haben. Sie möchten derGesellschaft etwas geben, möchten sich mir ihrem Können und ihrer Arbeiteinbringen und engagieren. Dieses Ethos geht so weit, dass sie selbst unterwidrigsten Umständen noch bereit sind, ihre Arbeit zu machen, sie gut zumachen. Es ist in höchstem Maße zynisch, ihnen zunehmend die materiellenGrundlagen für ihre Arbeit zu entziehen und sie dadurch offen zu missachten,nur weil man weiß, dass sie ohnehin weiterarbeiten werden. Ich habe mehrfachmit AuditivVokal gearbeitet - nun gehe ich doch einmal darauf ein - und dasEnsemble ebenso wie seinen Leiter als eben solche verantwortungsvollen Künstlererleben dürfen, denen ihr gesellschaftlicher Auftrag wichtiger ist als diepersönliche Bequemlichkeit. Es gibt durchaus Menschen in unserer Gesellschaft, die ein 10faches und mehr von ihnen verdienen, denen diesesVerantwortungsbewusstsein allerdings nicht immer anzumerken ist.
Viele freie Künstler leben bereits in prekären Verhältnissen. Das bewegt sie nicht etwasdazu zu streiken, einen "sicheren" Beruf zu ergreifen oder anderweitig aufzugeben. Sie wissen um ihre Verantwortung und würden sich ihrnie entziehen, selbst wenn sie parallel nachts Taxi fahren müssten, um ihreFamilien zu ernähren. Dass dies seit Jahren ausgenutzt wird, ist für einwohlhabendes Land wie Deutschland ein Skandal. Denn es stimmt nicht, dass keinGeld da ist. Dies ist längst widerlegt. Kaum je war so viel Geld im Umlauf wie heute. Die Frage ist lediglich, und jeder Politiker und jede Politikerin muss bereit sein, sich ihr zu stellen: Wofür ist man bereit, es auszugeben? Die Ausbeutung von hart arbeitenden, freien Kunstschaffenden muss endlich enden.Ein radikales Umdenken seitens der Politik bezüglich Kunst und Kultur ist lange überfällig. Kunst und Kultur "kaputt zu sparen" ist nur eines: extrem kurzsichtig. Je mehr wir heute an der ästhetischen und ethischen Bildung sparen, desto mehr müssen wir in ZukunftGeld und Kraft investieren um die Nachwirkungen dessen auf sozialem, politischen und ideologischen Gebiet einzudämmen. Ich appelliere hiermit nachdrücklich dafür, die freie Kunstszene generell und ganz besonders das Ensemble AuditivVokal keiner weiteren Sparmaßnahme zu unterziehen, sondern, im Gegenteil, die Mitteldeutlich aufzustocken!
C. René Hirschfeld Wernigerode, 17. November 2025
Foto: Korvin Reich